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NIMM DAS ZEPTER IN DIE HAND UND GEH NEUE WEGE
Mein Name ist Sebastian Kreisel, ich bin als hauptamtlicher Mitarbeiter seit Juni 2015 an der Bahnhofsmission am Ostbahnhof. Mein beruflicher Werdegang: Ich bin eigentlich gelernter Schreiner und Koch. Zur Bahnhofsmission bin ich über ein Praktikum gekommen. Ich hatte mich aufgrund einer Erkrankung neu orientiert und hab mir das Praktikum ausgesucht, weil ich gerne anderen Menschen helfen wollte. Ich dachte „jetzt bist du an der Reihe zu helfen, dir wurde damals auch geholfen“. Das schönste Erlebnis für mich war, als ein langjähriger Gast zu mir kam und sagte, dass er jetzt auch eine Wohnung hat und somit die Hilfe hier nicht mehr in Anspruch nehmen müsse. Wir haben ihn durch Beratung und lange Gespräche motiviert, das Zepter wieder in die Hand zu nehmen und neue Wege zu gehen. Dadurch hat er Mut gefasst und alles in die Wege geleitet. Jeder kann zu uns kommen, auch wenn es nur für ein Gespräch ist. Manche schütten dann ihr Herz aus oder andere benötigen einfach nur einen Tipp, wie es weiter gehen kann. Was sich allerdings in meiner Zeit zum Negativen entwickelt hat, ist, dass immer jüngere Menschen zu uns kommen und nach Hilfe oder Lebensmitteln fragen. Die jüngsten Gäste, die ich hier hatte, waren 10 und 13 Jahre alt. Sie kamen regelmäßig mit ihren Eltern zum Essen. Die Familie lebte zwar nicht auf der Straße, aber hatte nicht die Mittel, um den ganzen Monat die Kinder und sich selbst zu versorgen. Es gibt viele Gäste, die schon seit Jahren hierherkommen. Oft sind sie durch kleine Dinge aus der Bahn geworfen worden. Sie kommen aber ganz bewusst nur zu dieser Bahnhofsmission, weil sie den Rahmen gut finden und die Atmosphäre sehr familiär ist. Sie können sich hier dann besser austauschen. Wir bieten ihnen in erster Linie die Grundversorgung an. Unser Frühstück ist zwischen 8.30 Uhr und 12 Uhr und besteht meistens aus Brot, Joghurt und Obst. Das hängt immer von den Spenden ab. Manchmal ist auch etwas Süßes oder Schokolade dabei. Dann können sich die Gäste duschen oder sich frisch machen. Wir haben außerdem das Angebot eines Videodolmetschers, um Sprachbarrieren zu überbrücken. Das Leben auf der Straße ist für viele Obdachlose rastlos. Gerade in der Nacht kommen sie nur beschwerlich zur Ruhe und können nicht abschalten, weil sie sich auf der Parkbank nicht sicher fühlen. Sie können sich nicht einfach mal hinlegen und sagen „heute schlaf ich mich mal aus“. Dazu kommt natürlich auch die Sorge, wie bekomm ich den nächsten Tag rum. In Berlin ist es eh gerade ganz schwer, eine Wohnung zu bekommen und für Menschen auf der Straße nahezu aussichtslos. Man kann sagen, die Wohnungsnot trifft am härtesten die, die es am dringendsten bräuchten.
(Sebastian Kreisel, Mitarbeiter)