125 Jahre Bahnhofsmission

Unterwegs sein – auf dem Weg sein

Träger der Bahnhofsmission Ostbahnhof ist IN VIA, das heißt „auf dem Weg“ sein. Da sein für Menschen, die Orientierung und Hilfe brauchen: Einsame, Alte, Junge, Arme, Obdachlose, Reisende – Leute, die sich oft auch im übertragenen Sinne auf dem Weg befinden. Für sie ist die Bahnhofsmission seit 125 Jahren ein Ort, um auszuruhen, sich aufzuwärmen, etwas zu essen, sich frisch zu machen, ein Stückchen Geborgenheit zu finden. 365 Tage im Jahr, sieben Tage die Woche sind die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer hier für sie da. Jahr für Jahr kommen 50.000 Besucherinnen und Besucher, werden 90.000 Mahlzeiten ausgegeben und 6.000 Beratungen durchgeführt. Wenn diese Mauern Geschichten erzählen können… mag man sich denken. Das war der Ansatz der Fotografin. Seit 2017 porträtiert Kröll mit ihrer Kamera Menschen, die unterwegs sind und in der Bahnhofsmission Zwischenstation machen. Dabei erzählen die Gäste ihre Geschichte über ihre Reise und ihre Begleiter durch ihr Leben. Eindrücke, die berühren und einen Blick hinter die Fassade erlauben.

ICH HABE MAL MIT HARALD JUHNKE GESPIELT

18 Jahre komme ich schon hier her, ungefähr. Ich habe ein Häuschen, einen Sohn und eine Wohnung. Die Wohnung gehört mir. Ich habe auch ein bisschen Geld. Ich bin Frührentner und das schon seit 35 Jahren. 1959 war der Unfall, da bin ich liegengeblieben – in der Wrangelstraße. Ich hatte gerade Schriftsetzer ausgelernt, als ich mit dem Motorrad den schweren Unfall hatte. In dem Beruf konnte ich nie ganz arbeiten, da ich nicht mehr den ganzen Tag stehen konnte. Die Anderen nannten mich „den sitzenden Setzer“. Schon verrückt: Ich war mit der Maschine in Paris, zweimal Hamburg und nie ist was passiert, aber dann hier in Berlin macht es Krach, Bums und ich war 80 Prozent schwerbeschädigt, sechs Wochen besinnungslos und musste mit einem Luftröhrenschnitt operiert werden. Ich war insgesamt ein halbes Jahr im Krankenhaus.

Jetzt habe ich die Pflegestufe drei, aber da krieg ich nicht viel für. Ab und zu bekomme ich Hilfe von einem Verein. Der hilft mir immer dienstags und freitags. Die machen sauber, die machen Essen und gehen einkaufen, das ist schon eine große Hilfe, aber finanziell kriege ich nichts ab.

Meine Frau hieß Ingeborg. Sie ist seit sechs Jahren tot. Es war ein Herzinfarkt, obwohl sie nicht geraucht und nicht getrunken hat. Ich trinke auch nicht und rauche auch nicht, seit 44 Jahren.

Früher war ich Komparse in Berlin. Da gab es immer 60 oder 120 Mark, das war schön. Mit Harald Juhnke habe ich mal gespielt oder mit Otto und mit einem älteren Ehepaar, die beide schon tot sind. Dann habe ich angefangen Blut und Plasma zu spenden. Es gab immer 50 oder 120 Euro und ein paar Stullen und einen Kaffee. Aber viel Geld hatte ich nie.

Zur Bahnhofsmission komme ich immer, wenn ich nachts nicht einschlafen kann. Das ist jetzt schon ein paar Jahre so. Ich wache jede halbe Stunde auf und dann gehe ich zur Bahnhofsmission, weil die Leute hier nett sind und ich mich ein bisschen unterhalten kann, jedenfalls mit den meisten.

(Gerhard T., fast 80 Jahre)

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Menschlichkeit am Zug

Die Bahnhofsmission am Berliner Ostbahnhof ist die älteste Bahnhofsmission in Deutschland und die einzige, die in der DDR betrieben wurde. Vor 125 Jahren wurde sie am heutigen Berliner Ostbahnhof – damals hieß er Schlesischer Bahnhof – gegründet und war Ideengeberin von inzwischen über hundert Bahnhofsmissionen in Deutschland.

Bürgerliche Frauen aus den katholischen, evangelischen und jüdischen Gemeinden begannen kurz vor der Jahrhundertwende jungen Frauen aus ländlichen Gebieten, die auf Arbeitssuche nach Berlin kamen und oft Opfer von sozialer und sexueller Ausbeutung wurden, Hilfe anzubieten.

Im Laufe der Geschichte haben sich die Aufgaben verändert und uns immer wieder vor neue gesellschaftliche Herausforderungen gestellt. Heute kümmern wir uns zunehmend um psychisch auffällige, suchtmittelabhängige oder wohnungslose Menschen, die in der Bahnhofsmission oft ihre erste oder ihre letzte Anlaufstelle sehen.

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